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V./4.4.: Symptomatik
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Die Symptomatik der Apoplexie hängt von der Lokalisation der ischämischen Läsion ab. Die Mehrheit der Fachbücher folgt der Einteilung nach Blutgefäßversorgungsbereichen. Vor detaillierter Darstellung müssen Kenntnisse über die arterielle Blutversorgung des Gehirns aufgefrischt werden, die sich im anatomischen Teil lesen lassen. Das Gehirn wird durch die zwei Aa. carotis internae (ACI) und die zwei Aa. vertebrales (AV) versorgt. Aus beiden AV entwickelt sich auf Pons-Höhe die A. basilaris (AB), die sich auf zwei Aa. cerebri posteriores (ACP) verzweigt.
Die ACI verzweigt sich in zwei große Ästen: die A. cerebri media (ACM) und die A. cerebri anterior (ACA). Aus dem ersten Abschnitt der ACA (A1), aus beiden ACM bzw. ACP entsteht der Willis-Kreis so, dass beide ACA durch die A. communicans anterior (ACoA) verbunden werden. Aus der ACI (proximal von ACA- und ACM) entspringt die A. communicans posterior (ACoP) rückwärts und stellt mit der ACP die Verbindung her.
Ast der ACI ist die A. ophthalmica, deren Verengung und Embolie die Ischämie der Retina verursacht, die ipsilateral zur flüchtigen Blindheit (Amaurosis fugax, in der englischen Fachliteratur TMB – transient monocular blindness) führen kann, aber vordere ischämische optische Neuropathie (EION) kann auch auftreten. Ihr anderer Ast ist die A. choroidea anterior, Ischämie ihres Versorgungsbereich verursacht Hemiparese an der Gegenseite, Hemihypästhesie und wenn auch das Corpus geniculatum laterale betroffen ist, Hemianopsie.
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Der im Versorgungsbereich der ACA entstehende ischämische Gehirninfarkt verursacht am häufigsten Hemiparese an der Gegenseite mit Übergewicht des unteren Gliedes oder Monoparese des gegenseitigen unteren Gliedes. Wegen Beschädigung der medialen Oberfläche der Gehirnhälfte können auch folgende Symptome auftreten: Empfindungsstörungen auf dem gegenseitigen unteren Glied (Gyrus postcentralis), Incontinentia urinae (medialer Gyrus frontalis superior), Abulie (frontaler mediobasaler Bereich), Liberationszeichen.
Symptomgruppe des ACA-Verschlusses hängt in großem Maße von der Verschlussstelle und den Kollateralen ab. Verschluss der A1 neben funktionierender ACoA verursacht Infarkt, wenn der Verschluss die medialen perforierenden Arterien, besonders das Entspringen der A. recurrens Heubneri (ihre ACA-Ast, beugt sich im scharfem Winkel zurück) betrifft. Dann tritt wegen des die Capsula interna betreffenden Infarkts Hemiparese mit Übergewicht des oberen Gliedes, Dysarthrie auf. Unruhe und Hiperaktivität und auch dessen Gegenteil (Abulie, Hemmung der Bewegungsveranlassung, Apathie) können ebenso auftreten. Selten kommt es vor, dass ein A1-Abschnitt fehlt und beide ACA aus der Gegenseite entspringen. In diesem Fall kann sich Infarkt in beiden Versorgungsgebieten der ACA entwickeln.
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Die ischämische Läsion im ACM-Bereich kann Hemiparese mit gegenseitigem faziobrachialem Übergewicht, Hemihypästhesie auslösen, wenn die dominante Gehirnhälfte betroffen ist, kann Aphasie zu den Symptomen kommen.
Während Beschädigung der subdominanten Gehirnhälfte können sich auch Anosognose, Neglect-Syndrom entwickeln. Neben den mit Dominanz der Gehirnhälfte verknüpften Symptomen entwickeln sich bei Beschädigung der vorderen ACM-Ästegruppe Lähmung an der Gegenseite und Empfindungsausfall mit Gesicht-, Hand- oberem Gliedmaximum. Bildung der Parese ohne Empfindungsstörungsgefühl ist auch möglich. Zu den Symptomen kann noch Blicklähmung auf der Gegenseite kommen (in schwerem Fall deviieren die Augäpfel in Läsionsrichtung konjugiert). Während Beschädigung der hinteren ACM-Ästegruppe entsteht keine Parese, sondern Empfindungsausfall auf der Gegenseite, homonyme hemi- oder quadrante Anopsie.
Perforierende Äste der ACM sind die lentikulostriatalen Arterien. Infarkt des linksseitigen Caudatums, falls die Läsion sich auch auf das Putamen und die Capsula interna ausdehnt, bei Hemiparese auf der Gegenseite kann Denkstörungen, Amnesie, Verstörtheit und subkortikale Aphasie verursachen. Bei Beschädigung des rechtsseitigen Blutgefäßgebiets verursacht er in erster Linie faziobrachial verteilte Hemiparese und eventuell Verhaltensstörungen. Perforierende Äste entspringen auch aus der ACA (Aa. lenticulostriatae anteriores, A. choroidea anterior).
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Der im Versorgungsbereich der ACP aufgetretene Hirninfarkt kann homonyme Hemianopsie auf der Gegenseite verursachen, selten kann sogar Empfindungsstörung die Symptome begleiten (Testfrage 2). Bei kardialer Embolisation oder bei schwerer okklusiver Krankheit der AB können die Versorgungsbereiche beider AB geschädigt werden, dann könnte kortikale Blindheit entstehen.
Der anterolaterale Teil des Thalamus wird durch die A. tuberothalamica versorgt, die aus der ACoP entspringt und infolge ihrer Ischämie treten neuropsychologische Symptome, emotionelle faziale Parese, Hemiparese auf der Gegenseite auf. Bei dominantseitiger Schädigung können Sprechstörung, bei Läsion auf subdominanter Seite Neglect-Syndrom und visuospatiale Störung auftreten.
Posterolateraler Teil des Thalamus wird durch die A. geniculothalamica versorgt, die aus der ACP entspringt und bei Schädigung bildet sich Dejerine-Roussy-Syndrom (auf der gegenseitigen Körperhälfte Erstarrung, Schmerz, eventuell Anästhesie, Astereognose, Thalamus-Hand, Chorea, manchmal Atethose, Hemiparese, Hemiataxie). Das Corpus geniculatum laterale wird durch die aus der ACP entsprungene A. choroidea posteromedialis und posterolateralis versorgt, bei seiner Schädigung findet man Hemianopsie auf der Gegenseite. Der mediale (paramediane) Thalamusinfarkt wird durch Verschluss der aus proximalem Teil der ACP entsprungenen A. thalamoperforata verursacht. Es könnten plötzlich aufgetretene hypnoide Bewusstseinsstörung, dann neuropsychologische Störung, vertikale Blicklähmung, selten internukleare Ophthalmoplegie entstehen.
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Bei bildgebenden Untersuchungen sind die in Grenzzonen entstandenen Infarktegut sichtbar. Bei in der vorderen Grenzzone entstandener Erweichung könnten Hemiparese mit Übergewicht des unteren Gliedes auf der Gegenseite, transkortikale motorische Aphasie, Apathie und exekutive Störung entstehen. Bei doppelseitiger Läsion könnten Gehapraxie, Demenz auftreten. Bei Schädigung der hinteren Grenzzone könnten visuelles Neglect-Syndrom, Prosopagnosie, Farbagnosie, gegenseitige Empfindungsstörung, Gesichtsfeldschädigung entstehen. Doppelseitige Schädigung könnte Bálint-Syndrom (simultane Agnosie, optische Ataxie und okuläre Apraxie) auslösen. Die in tiefen Grenzzonen sich entwickelnde Ischämie kann gegenseitige motorische und sensorische Symptome verursachen, aber auch kognitiver Niedergang kann sich bilden.
Die wegen Schädigung der kleinen Blutgefäße entstandenen lakunären Infarkte führen zu gut umschriebenen Syndromen, wie z. B. die isolierte Hemiparese („pure motor stroke”), der nur mit sensorischen Symptomen begleitete Apoplexie („pure sensory stroke”), der senso-motorische Apoplexie (ohne Gesichtsfeldstörung und kortikale Symptome), die ataxische Hemiparese, das Dysarthrie-mit-ungeschickter-Hand-Syndrom (Testfrage 3) und die alternierende Syndrome des Hirnstamms.
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Die Histologie der Apoplexie des Hirnstamms wird nur kurz erwähnt, denn das gezeigte Präparat schildert die Schädigung der Gehirnhälfte. Bei Schädigung des Hirnstamms können komplexe, gekreuzte und symmetrische Symptome auftreten. Komplexe Symptome können Dysarthrie, Doppelsichtigkeit, Hirnnervenlähmung, Erbrechen und Ataxie sein. Gekreuztes Symptom ist die alternierende Hemiparese, in der sich die Hirnnervenlähmung ipsilateral, das Pyramidenbahnsyndrom kontralateral entwickelt. In diesem Fall weist das Hirnnervensymptom auf die Lokalisation der Schädigung hin. Bei Stenose der A. basilaris können doppelseitige auch kortikale Blindheit und Tetraparese auftreten. Bei Schädigung der den Hirnstamm versorgenden kleinen Blutgefäße können typische Syndrome diagnostiziert werden.
Die britische Oxforder epidemiologische Untersuchung (Oxfordshire Community Stroke Project) folgert anhand den in der Untersuchung beobachteten Symptomen auf die Lokalisation und Verbreitung der Schädigung. Prognose der so festgestellten vier Kategorien unterscheiden sich erheblich. TACI (total anterior circulation infarct), gegenseitige Hemiparese, Hemianopsie und kortikale Funktionsstörung (Aphasie, Apraxie) treten auf. Bei PACI (partial anterior circulation infarct) findet man weniger Symptome als bei TACI. Bei POCI (posterior circulation infarct), Symptome des Hirnstamms und/oder zerebelläre Symptome, Hemianopsie treten auf. LACI (lacunar infarct), klar bewegende Symptome, rein sensorische Symptome, ataxische Hemiparese, Empfindungsstörung und Parese, aber ohne Gesichtsfeldstörung und kortikale Funktionsstörung.
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