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VI./2.3.: Frage der Malignität eines Tumors
VI./2.3.1.: Begriffserklärung
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Als maligne werden die Tumore bezeichnet, die von ihrem biologischen Verhalten her innerhalb kürzester Zeit - wenn sie nicht behandelt werden - direkt oder indirekt zum Tode des Patienten führen.
VI./2.3.2.: Malignität, Progression, Propagation
Diese aus mehrerer Hinsicht ungenaue Definition zeigt, dass ein als maligne geltender Tumor ziemlich unterschiedliche Eigenschaften haben kann. Im Allgemeinen bedeutet der Begriff maligne, dass der Tumor Metastasen abgeben kann - was als eines der sichersten Kriterien für die Malignität gilt; umgekehrt ist dies auch der Fall: im onkologischen Sinn ist eine Metastasierung eine conditio sine qua non - also ohne Malignität nicht möglich.
(Die oben beschriebene, onkologische Bedeutung der Metastatisation wird deshalb so eindeutig unterstrichen, weil dieser Begriff auch bei der Pathologie der Entzündungen benutzt wird - man spricht ja von metastatischen Abszessen -, es handelt sich hierbei aber um zwei komplett unterschiedliche Vorgänge, die nur formell gleichbedeutend sind, da ja Herde einer Primärentzündung in Form von septischen Embolien mit dem Blut gestreut werden können, und sich so, weit von der eigentlichen Entzündung entfernt, neue Eiterherde bilden können). Dieser Meilenstein der Onkologie kann aber auch nicht immer automatisch angewandt werden. Primäre Gehirntumore geben z.B. nie extrakraniale Metastasen ab, sie sind aber trotzdem ohne Zweifel maligne: ihr malignes Potential liegt in ihrem Hang zur Rezidivbildung.
Das Zeitintervall, in dem ein Tumor zum Tode führt, ist auch sehr schwer voraussagbar. Die Art von Tumor, die innerhalb relativ kurzer Zeit (innerhalb von einigen Monaten oder 1-2 Jahren nach Diagnose) tödlich sind, sind immer unausgereift bzw. zeigen eine spärliche Zelldifferenzierung (diese Tumore haben also bei der Einteilung einen hohen Grad (Gr. III oder Gr. IV)). Das biologische Verhalten eines Tumors ist zu seiner Differenzierung umgekehrt proportional, d.h., dass undifferenzierte Tumore meist schnell wachsen und sich schnell verteilen (propagatio). (Die Tumorprogression (stätige Dedifferenzierung eines Tumors) ist also nicht mit der Propagation (Wachstum des Tumors) zu verwechseln!) Besser differenzierte Tumore zeigen sowohl eine langsamere Progression als auch eine langsamere Propagation.
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Es kommt auch oft vor, dass ein Tumor erst nach Jahren zu einem fatalen Ende führt. Das ist mit der sog. klonalen Selektion zu erklären, die ja besagt, dass genetische Schäden Jahre lang akkumulieren, und erst nach dieser Akkumulation ein undifferenzierter, Metastasen bildender, agressiver Klon entsteht. Die Differenzierung eines Tumors ist proportional zur "Erinnerungsfähigkeit" einer Zelle, also dem entsprechend höher, wenn sich die Zelle gut daran erinnert, was für Funktionen sie im Ausgangsgewebe hatte; entfernt sich ein Tumor zunehmend vom Ausgangsgewebe, wird er immer weniger differenziert (Dedifferentiation). Im Hintergrund des Gesagten steht also die Erhaltung oder Zerstörung der genetischen Information, die für die typische Erscheinung einer bestimmten Zelle verantwortlich ist. Die letzte Station dieser Dedifferenzierung ist die Anaplasie (1B) eines Gewebes, was heisst, das der Tumor keine Charakterzüge des Ausgangsgewebes mehr zeigt.
VI./2.3.3.: Malignität und der Tod des Wirtsorganismus
Die Art und Weise, wie der Tumor schliesslich dem Wirtsorganismus den Gar ausmacht, ist auch sehr unterschiedlich:
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- manche Läsionen sind schon deshalb tödlich, weil der Primärtumor eine Volumenbelastung bedeutet
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- es kann aber auch sein, dass eine nicht tumoröse Folgeerscheinung der Läsion den Tod verursacht, z.B.
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- zentrales Lungenkarzinom>>Bronchokonstriktion>>Atelektase im darauf folgenden Gebiet mit einer möglichen Superinfektion und der Ausbildung einer Lungenentzündung;
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- durch ein Lymphom verursachte Vergrösserung der mediastinalen Lymphknoten>>V.cava superior Syndrom;
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- Ösophaguskarzinom>>tumoröse Verengung der Speiseröhre (strictura oesophagi propter tumorem)>>Abbau der Körpermasse und Verschlechterung des Allgemeinzustandes wegen einer Unterernährung (inanitio);
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- Ösophaguskarzinom>>tumoröse Fistelbildung zwischen der Speise- und der Luftröhre (fistula oesophago-trachealis)>>Aspirationspneumonie;
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- Ösophaguskarzinom>>tumoröse Fistelbildung zwischen der Speiseröhre und der Aorta (fistula aorto-oesophagealis)>>Verblutung (exsanguinatio);
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- Stoffwechselprodukte des Tumors (bioaktive Stoffe) sind fähig, ein sog. paraneoplastisches Syndrom hervorzurufen (so bilden z.B. bestimmte Rhabdomyosarkome paraneoplastisch Insulin>>hypoglykämisches Koma);
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- bei ausgebreiteten Tumoren (extrem grosser Primärtumor, mehrfache generalisierte Metastasierung) verursachen die den Organismus belastenden Stoffwechselprodukte der Tumormasse die Zerstörung des Wirtsorganismus, die tumoröse Kachexie.
VI./2.3.4.: Eigenschaften der malignen Tumore
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Im vergangenen Jahrzehnt sind die Eigenschaften, die einen malignen Tumor ausmachen, wiefolgt zusammengefasst worden: (i) andauerndes Vorhandensein proliferativer Signale; (ii) Verdrängung der Faktoren, die das Wachstum eindämmen (Tumorsuppression); (iii) Umgehen der immunmodulierten Zelldestruktion; (iv) die Fähigkeit lokal, und weiter entfernt immer neuere Tumorknoten zu bilden (invasio vs.metastatisatio); (v) Veränderung der Tumorumgebung und der biophysikalischen Eigenschaften der Tumorzellen selber zugunsten des Tumorzellüberlebens, und ihrer Ausweitung; (vi) unbegrenzte Möglichkeit der Vermehrung (sog. replikative Immortalität); (vii) angiogenetische Fähigkeiten; (viii) Umgehen des programmierten Zelltodes (Apoptose); (ix) Abschalten der Mechanismen zur Reduktion des Zellenergie-Verbrauches.
VI./2.3.5.: Teilkomponenten der Tumorverbreitung
Bei der Ausbildung der Zellbewegungsfähigkeit (Motilität) und der Invasionsfähigkeit spielen die Integrine (alpha6-beta4,alpha-v-beta3, alpha-v-beta5, alpha5-beta1) und die Chemokinrezeptoren (CXCR2, CXCR4) eine wichtige Rolle. Die Bewegungsfähigkeit bzw.Migrationsfähigkeit einer Zelle hängt grundsätzlich von folgenden Faktoren ab:
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(i) von der Dynamik der Fähigkeit zum Verbinden und Abreissen voneinander "adhesio-deadhesio", die von den molekulären Eigenschaften der Zelle und ihrer Adhäsionsfähigkeit abhängen;
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(ii) von der Fluidität der Zellelemente - besonders des Kerns - und der Fähigkeit des Zytoskelettes, sich zu verändern,sowie von der Rigidität der Zelle ("cell-stiffness");
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(iii) von den Wechselwirkungen zwischen dem Tumor und der Matrix (Verdauung, Abbau, Umstrukturierung/Remodelling);
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(iv) von dem Vorhandensein der Kräfte, die zu einer Protrusion (Herausragen) und zu einer Kontraktilität (Zusammenziehen) des Tumors führen ("force generation").
Verschiebt sich das Gleichgewicht dieser Zelleigenschaften, ergeben sich solche zellbiologische und morphologische Veränderungen, die als EMT (epitheliale - mesenchymale Transition; oder MET mesenchymale - epitheliale Transformation) bezeichnet werden. Ausser der mesenchymalen Zellbewegung kann sich durch die Wirkung der umgebenden Zellelemente (Erscheinen /Verschwinden von Zugkräften - tractio) auch eine amöboide Bewegungsform bilden, die bei der Invasion und der Metastasenbildung eine Rolle spielt. Die Art und Weise, wie eine Tumorzelle fähig ist, die oben beschriebenen 4 Parameter aus ihrem Gleichgewicht zu bringen, ist ein heisses Thema der aktuellen Tumorforschung. Ebenso wichtig ist es zu klären, wie die umgebende Zellmatrix diese Eigenschaften modulieren kann; bei dieser Wechselwirkung spielen Wachstumsfaktoren, Zytokine, Chemokine, die Zusammensetzung der Matrix-Proteine, der räumliche Aufbau, die Konzentration der Matrixelemente, und die mechanischen Eigenschaften der Matrix (Rigidität, hydrostatischer Druck, usw.) alle eine ausschlaggebende Rolle.
Es ist verständlich, dass diese Faktoren dem klassischen Kaskaden-Modell der Metastasierung folgend sowohl beim Mechanismus der Metastasenbildung, als auch bei der Kolonisation (Adhäsion, Extravasation, mesenchymal - epitheliale Transformation - MET) in einem weiter entfernten Gewebe (Zielorgan) eine Rolle spielen. Bei der Ausweitung eines Tumors im Blut- und Lymphkreislauf spielt nicht nur die Tumorzell-Endothel-Wechselwirkung eine Rolle, sondern auch die Fähigkeit des Tumors zur Gefässneubildung, also zur endothelialen - mesenchymalen Transformation (EnMT).
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Die Matrix - Metalloproteasen (MMPs) bzw. die Enzyme, die das Loslösen der Zellen aus dem Zellverband ermöglichen, sind wichtige Faktoren der Tumorzell- Matrix Wechselwirkungen. Das englische Wort shedding (ablösen, abstossen) ist der Namensgeber dieser Stoffe, der "Sheddasen". Genauer erforscht sind hiervon die ADAM-10 und ADAM-17 Sekretasen, die NOTCH-Rezeptoren, Ephrine und E-Cadherine spalten, und die Translokation des Kerns verursachen, bzw. eine bestimmte Genexpression induzieren, die die Invasion der Karzinomzellen ermöglicht.
Wichtige Vertreter der Zell-Matrix Adhäsions-Rezeptoren sind die Integrine und die zu ihnen gehörenden fokalen Adhäsionsmoleküle wie z.B. das Vinculin und FAK (focal adhesion kinase). Die Integrine sind ausser für die Adhäsion auch noch an zwei weiteren wichtigen Prozessen beteiligt: (i) im Generieren und Übertragen der kontraktilen Kräfte (contractile forces) (von aussen nach innen: ligand dependent outside-in regulation); und (ii) bei der Regulation der "inside-out" Vorgänge (Integrin/Wachstumsfaktor Wechselwirkung). Diese in zwei Richtungen mögliche Signaltransduktion beeinflusst die Integrin-Rezeptor Stimulation und die Veränderung des Zytoskelettes (Remodelling).
VI./2.3.6.: Der Begriff der Malignität von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet
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Der Begriff der Malignität kann von verschiedenen Standpunkten aus interpretiert werden.Vom klinischen Standpunkt aus betrachtet gilt ein Tumor dann als maligne, wenn er - unabhängig von seiner Differenziertheit - den Tod des Wirtsorganismus verursacht. Ein Beispiel, das das verdeutlicht, ist das am Rand des Foramen magnum sitzende, gut differenzierte Meningeom (Gr. I), das das verlängerte Mark komprimiert, und somit den Tod des Patienten verursacht.
Es ist also einleuchtend, dass der Begriff der klinischen Progression meist auf das Wachstum des Tumors, also auf seine Verbreitung, bezogen ist. Die biologische/ pathologische Progression ist allerdings auf die Akkumulation genetischer Schäden bezogen (Mutations -Akkumulation -- biologische Progression), was heisst, das in einem zunächst monoklonalen Tumor Subklone (Zweittumore) erscheinen. Diese Gegebenheit kann als bizarre, paradoxe Form der natürlichen Darwin`schen Selektion aufgefasst werden: die natürliche Selektion des "survival of the fittest" funktioniert hier so, dass der Tumor überlebt, der sich innerhalb kürzester Zeit möglichst viele der oben aufgezählten 9 Kriterien der Malignität "aneignen" kann.
Es sind viele histologische und zytologische Kriterien für die Malignität eines Tumors bekannt. Zu den zytologischen Eigenschaften der Malignität gehören die Variationen der Zellen und der Zellkerne in Form bzw. Grösse (anisonukleosis), das Wachstum der Zellen (karyomegalia), der erhöhte Chromatingehalt der Zellkerne (hyperchromasia), und die erhöhte Basophilie der Zellen; ausserdem kommen noch die Verschiebung der Kern- Zytoplasma Relation zugunsten des Kernes, und die erhöhte Mitosezahl (3B) mit der Bildung atypischer Mitosen hinzu.
Histologische Kriterien sind in erster Linie auf die Wirkung des Tumors auf seine Umgebung bezogen: das Eindringen der Tumorzellen in seine Umgebung (infiltrative Invasivität), in Lymph- und/oder Blutgefässe ((lymph-/haem-)angioinvasio), oder die Verbreitung des Tumors entlang und in bestimmten Nervensträngen (perineural). In manchen seltenen Fällen ist aber auch die Infiltration des Tumors nur ein relatives Kriterium der Malignität (s. Basaliom!); das Eindringen eines Tumors in ein Blutgefäss und seine Verbreitung entlang der Nerven kann allerdings als sicheres Zeichen der Malignität angesehen werden.
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