II./2.3.: Meningomyelokele

 

II./2.3.: Meningomyelokele

II./2.3.1.: Die Meningomyelokele als eine Form der dysraphischen Störungen (spina bifida) und weitere Störungen des Neuralrohrschlusses

fontos

Die Störungen des Neuralrohrschlusses (kraniospinale dysraphische Fehler) können verschiedene Regionen des zentralen Nervensystemes betreffen.

  • (i) Als Anenkephalie (cranioschisis) wird das Fehlen der Schädelkalotte, und damit gleichzeitig auch das Fehlen des Gehirnes bezeichnet. Die Anenkephalie kann separiert, oder aber sehr oft auch mit weiteren dysraphischen Fehlern, so mit denen der Hals-, der Brustwirbel, oder der Wirbelbögen der gesamten Wirbelsäule vorkommen. Entwicklungsgeschichtlich wird in solch einem Fall primär die Schädelkalott nicht ausgebildet, was dann zur Folge hat, dass sich das Gehirn auflöst: zunächst „schwebt” das Gehirn lose im Fruchtwasser umher (exencephalia), geht dann später aber zugrunde und wird von einem reich kapillarisierten Bindegewebe (area cerebrovasculosa) ersetzt; dieser Zustand wird dann als Anenkephalie bezeichnet, was mit dem Leben nicht zu vereinbaren ist.

  • (ii) Betrifft der Defektverschluss auch die Stirnregion des Schädels, können sich die Gesichtsstrukturen nicht richtig zusammensetzen (’midline facial defect’), was eine zweigeteilte Nase bzw. sich aus einem Hypertelorismus ergebende Gesichtsdeformitäten verschiedenen Grades zur Folge hat (Hypertelorismus= erweiterte Entfernung zwischen paarweise vorkommenden Organen, besonders den Augen. Die Entfernung der Augen zueinander wird über den Pupillenabstand gemessen. Bei einer erwachsenen Frau gilt ein Pupillenabstand, der mehr als 65mm, bei einem erwachsenen Mann mehr als 70 mm beträgt, als Hypertelorismus. Der erweiterte Abstand zwischen den beiden Augäpfeln stellt alleine noch keine pathologische Veränderung dar – und kann einem Gesicht u. U. sogar eine Art Charme verleihen (s.Lisa Minelli oder Jacqueline Kennedy Onassis) -, ist aber oft Teil eines mit noch weiteren Entwicklungsstörungen vergesellschafteten Syndroms).

  • (iii) Man bezeichnet den verschieden schwer ausgeprägten Fehlverschluss der Wirbelbögen als Spina bifida (offene Wirbelsäule, rachischisis). Im Grossteil der Fälle sind die Wirbel, und die die Wirbel umgebenden Strukturen nach hinten (dorsal) geöffnet, es kann aber auch vorkommen, dass sich die Öffnung bauchwärts (ventral oder beckenwärts) oder seitwärts (lateral, bzw.paravertebral) befindet. Die nach vorne gerichteten dysraphischen Störungen bildet sich bei Defekten des Kreubeins, die seitlich offenen Dysraphien bilden sich an den sog. Hemivertebrae. Eine extreme Form der nach hinten offenen Defektverschlüsse bildet sich, wenn entweder nur die Dura Mater der Wirbelsäule (meningokele) oder die Dura zusammen mit dem darin verlaufenden Rückenmark (meningomyelokele) aus dem Wirbelkanal ausgestülpt wird. Von einer Syringomyelokele (myelocystokele) spricht man immer dann, wenn sich der ausgestülpte Teil des Rückenmarkes um einen zystenartigen Hohlraum herum befindet, der mit dem Zentralkanal (canalis centralis) der Wirbelsäule verbunden ist.

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Abbildung 1: Variationen der Spina bifida: 1 Corpus vertebrae, 2 Discus intervertebralis, 3 Processus spinosus, 4 Medulla spinalis, 5 Sakrum, 6 Haar, 7 Meningokele, 8 Myelomeningokele (aus der Sammlung von Balázs Kiss)

Die beiden zuletzt beschriebenen Fehlbildungen kommen leider oft mit einer schweren, unheilbaren Funktionsstörung der unteren Extremitäten und mit einer Dysfunktion der Harnblase zusammen vor. Manchmal findet man an der offenen Stelle der Wirbelsäule auch reifes Fettgewebe („Lipomeningokele”). Eine dysraphische Störung findet sich am häufigsten am lumbosakralen Abschnitt der Wirbelsäule. Es kommt nicht selten vor, dass sich in solch einem Fall auch ein Hydrokephalus bildet, und die dadurch entstandene Ventrikulomegalie lässt noch intrauterin an eine Störung des Neuralrohrschlusses denken. Die Prognose ist, zum Teil eben wegen diesem Hydrokephalus, zum Teil wegen der sich nach der Geburt meldenden Paraplegie/ Parese, der Inkontinenz und der Gefahr der andauernden Harnwegsinfektionen, sehr schlecht. Bei einer Spina bifida aperta (offene dysraphische Störung) liegt der Spinalkanal offen da, oder er ist mit einer pathologisch dünnen Knochenhaut bedeckt; die Haut fehlt dort auch, und durch die sich so bildende, ungefähr Hühnerei grosse Öffnung kann man das Rückenmark oder das sich an seiner Stelle gebildete, pathologische Nervengewebe sehen (1. Makrofoto). Dieser Zustand begünstigt natürlich die Bildung einer aufsteigenden, meist meningoventrikularen Infektion des ZNS.

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1.Makrofoto: Spina bifida aperta. Diese Form der Störung des Neuralrohrschlusses ist viel besser als die verdeckte Variante der Spina bifida zu erkennen, und ermöglicht schwere Infektionen des ZNS (aus der Sammlung von Attila Kovács und Ildiko Szirtes – Bildarchiv des II. Pathologischen Institutes der Semmelweis Universität, Budapest).

Die Spina bifida occulta (verdeckte dysraphische Störung) versteckt sich unter einer normal vorhandenen Hautschicht, und es sind höchstens die Wirbelbögen nicht ganz verschlossen; in diesem Fall kann die Veränderung nur bei einer sehr präzisen Untersuchung überhaupt bemerkt werden. Klinisch ist das Bild dem der offenen Spina bifida entsprechend, die Symptome sind aber meist weniger stark ausgeprägt (z.B. eine physisch weniger belastbare Wirbelsäule, andauernde Rückenschmerzen, die Haut über der Läsion kann in manchen Fällen eingezogen sein, eine Hyperpigmentation, Hämangiome, Lipome oder Stellen mit vermehrtem Haarwuchs können sich über dem Kreuzbein bilden, usw.), oder sie fehlen gänzlich.

Die offene Form der Spina bifida hat verschiedene Schweregrade und Formen:

  • a.) die Meningokele, bei der die nur mit Liquor, nicht mit Nervengewebe , gefüllte Ausbuchtung der Dura mater zu sehen ist;

  • b.) wenn die Meningokele auch Teile des Gehirns enthält, spricht man von einer Meningoenkephalokele; enthält sie Teile des Rückenmarks, spricht man von einer Meningomyelokele;

  • c.) wenn das ausgestülpte Nervengewebe nicht von Gehirnhäuten bedeckt ist, bezeichnet man die Veränderung als Enkephalokele bzw Myelokele;

  • d.) die Inienkephalie steht für eine komplexe Form der dysraphischen Störung des Neuralrohrschlusses: die Halswirbel rutschen auseinander, weshalb offene Halswirbel und eine Lordose, zusammen mit einer dorsal versteiften Kopfhaltung, der sogenannten „Sterne Beobachter” -Haltung (der Hals ist wegen einer Fusion der hinteren Schädelkalotte (Fossa cranii posterior) und dem oberen Teil der Halswirbelsäule in einer hyperextendierten Zwangshaltung versteift) zu sehen sind; der Hals ist verkürzt, und Teile des Gehirns werden durch das Foramen Magnum Richtung Verlängertem Mark gedrückt (zu dieser äusserst seltenen Form der Erkrankung kommt auch noch ein eingedrückter, malformierter Brustkorb, eine Lungenhypoplasie und ein gestörter Blutkreislauf hinzu);

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Abbildung2: Offene lumbale Menigomyelokele: 1 Crena ani, 2 offene Meningomyelokele (aus der Sammlung von Balázs Kiss)
  • e.) die Spina bifida kommt alsdann mit einer Arnold-Chiari-Malformation zusammen vor, was im Klartext bedeutet, dass die hintere Schädelgrube kleiner als normal ist und eine steilere Wand hat (platybasia) (5A); das Tentorium des Kleinhirnes sitzt tiefer als gewöhnlich, wodurch die verlängerte Kleinhirnbrücke und das Verlängerte Mark in Richtung des Foramen Magnum verschoben wird (5B), manchmal sogar etwas abknickt, oder Teile des Verlängerten Markes und des Kleinhirnes durch das Foramen Magnum gedrückt werden, was dann durch die Stenose des Aquäduktus die Bildung eines obstruktiven Hydrokephalus zur Folge hat (diese komplizierte und aberrierte anatomische Anordnung des Verlängerten Markes ist Grund für den so oft vorkommenden plötzlichen Tod (5D) der Patienten, die ein Arnold-Chiari-Syndrom haben).

  • iv) die dysraphischen Neuralrohrverschlüsse können multifaktoriell vererbt werden, können sich aber durch eine teratogene Schädigung auch neu bilden. Die Inzidenz ist von Population zu Population verschieden, und ist in den westlichen Industrieländern in den vergangenen Jahrzehnten, entweder wegen den perikonzeptional angewandten Multivitaminpräparaten oder den veränderten Essgewohnheiten (z.B.erhöhte Folsäureaufnahme) auf ca. 1,5o/oo zurückgegangen. Heutzutage kommen – Dank der verbesserten Pränataldiagnostik – nur sehr selten Kinder mit einer Spina bifida auf die Welt

II./2.3.2.: Hydrokephalus (Wasserkopf) und Spina bifida

Es wird ein Hydrokephalus externus und einem Hydrokephalus internus unterschieden. In Foeten kommt bei einer primären Ventrikulomegalie sozusagen nur der Hydrokephalus internus vor. Bei einer Progression dieses Krankheitsbildes werden die Ventrikel immer grösser, wodurch sich auch die Hirnrinde verdünnt und der Umfang der Schädelkalotte so sehr erweitert, bis die Fontanelle schliesslich zu einem riesigen Loch wird. Der Hydrokephalus bildet sich sehr oft sekundär wegen einer Spina bifida, die ja durch einen dysplastischen Aquäduktus Sylvii zu einem obstruktiven Hydrokephalus führen kann. Ausser der Spina bifida kann auch eine Gliose, eine postinfektiöse Stenose (Toxoplasmose oder CMV), eine Blutung, ein Tumor (anaplastisches Oligodendrogliom, zentrales Neurozytom, Medulloblastom, Hämangiom, Teratom), oder eine Fehlbildung der Gefässe (Aneurysma) den Hydrokephalus auslösen.

megjegyzés

Der Hydrokephalus kann auch mit bestimmten dominant bzw. rezessiv vererbten Krankheitsbildern, oder zusammen mit Chromosomenaberrationen vorkommen. Der X-chromosomal vererbte Hydrokephalus ist dabei hervorzuheben, der bei männlichen Foeten zusammen mit der Stenose des Aquäduktus Sylvii und der typisch flektierten Haltung des Daumens vorkommt. Von der Ventrikulomegalie und dem Hydrokephalus muss die Hydranenkephalie unterschieden werden, bei der nur mit Xantochrom angefärbter Liquor in der ansonsten leeren Schädelkalotte zu finden ist. Der Verschluss der versorgenden Gefässe des Gehirns wird als Aetiopathologie dieser Veränderung angesehen.

Last modified: Monday, 12 May 2014, 11:27 AM