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I./1.2.: Embryonalentwicklung der Niere
I./1.2.1.: Über die Nierenentwicklung im Allgemeinen
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Niere und Harnleiter (Ureter) entwickeln sich aus dem das axiale und laterale Mesoderm des Embryos verbindenden Mittelblatt-Mesoderm (intermediäres Mesoderm, Gononephrotom oder urogenitales Blatt). Bei höher entwickelten Wirbeltieren bilden sich während der Embryonalentwicklung des Harnbildungsorgans drei, einander teils überdeckende Nieren Kolonien: Pronephros (Vorniere), Mesonephros (Urniere), Metanephros (Nachniere oder definitive Niere).
Der Name des einzelnen Nierentypes lässt sich nach Position des Embryokörpers entlang der Cranio-caudalen-Achse und nach dem Zeitpunkt der Erscheinung erklären. Während der Entwicklung des Humanembryos erscheint zuerst das in cranialster Position liegende Pronephros, aber dieses funktioniert im Menschen nicht, sondern entwickelt sich zurück; das mittelliegende Mesonephros funktioniert nur kurzzeitig als selbständiges Harnausscheidungssystem, aber ein Teil (Kupfer-Gang) von ihm nimmt an Bildung der Niere und des Ureters teil; letztlich wird es vom caudalstpositionierten Metanephros ein Großteil der definitiven oder dauernden Niere.
I./1.2.2.: Das Pronephros (Vorniere)
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Das Pronephros ist aus phylogenetischem Gesichtspunkt ein für kieferlose Wirbeltiere (Agnatha; dazu gehören Ingolen und Schleimaale) typischer Nierentyp und bildet sich im Menschen nur in verkümmerter Form aus dem Abschnitt auf der Höhe der 2-6 cervicalen Somiten (Urwirbel) des intermediären Mesoderms. Die für den Urwirbel typische Segmentierung breitet sich an dieser Stelle ausnahmsweise auf das intermediäre Mesodermgewebe der Halsregion, die die sogenannten nephrotome Kolonien von dem Pronephros aufbauen. Caudal von den sechsten cervicalen Somiten liegen Nephrotome so eng hintereinander, dass eine Segmentierung nicht mehr bemerkbar ist.
Mit hautartiger Transdifferenzierung der Mesodermzellen der Nephrotome entwickelt sich am 21. Embryonaltag seine Pronephrosanlage, der Vornierenhügel, und aus dessen caudalen Verlängerung das gemeinsame Ausführungsrohr des Pronephros, der Vornierenleiter. Der Vornierenhügel bildet primitive, äußere Glomeruli, die sich in Cölome drängen, während bei dem untersten, wo aus der Aorta entsprungene Blutgefäße sich ins Gewebe der Nephrotome drängen, bilden sich auch innere Glomeruli; die sind den Glomeruli der späteren Urniere und definitiven Niere ähnlich. Diese Glomeruli entwickeln sich in kurzer Zeit (Ende der vierten Embryonalwoche) zusammen mit aus dem Vornierenleiter stammenden Sammel- und Ableitungskanälen zurück. Der caudale Teil des Vornierenleiters ist durch die Regressionsprozess nicht betroffen und bleibt im Weiteren als Anfangsabschnitt des in späteren Stadien der Nierenentwicklung wichtige Rolle spielenden Wolff-Gangs erhalten.
I./1.2.3.: Das Mesonephros (Urniere)
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Das nächste Stadium der Nierenentwicklung ist das Mesonephros (Urniere), das sich schon während der Existenz des Pronephros zu entwickeln anfängt. Das Mesonephros und der Ductus mesonephridicus entwickelt sich aus von C6-Somit bis L3-Somit reichenden intermediären Mesodermabschnitten, aus dem sog. einheitlichen Mesonephrogenbündel. In der vierten Woche der Embryonalentwicklung, infolge der Induktionswirkung des Vornierenleiters nephrotischen Ursprungs ordnen sich Zellen des Mesonephrogenbündels in Gruppen, dann bildet sich Lumen in allen und dadurch bilden sie Urnierenblasen. Aus den Urnierenblasen richten sich hautzellengefütterte Kanälchen nach dem lateralpositionierten Vornierenleiter, und durch deren Zusammenöffnen wird der Wolff-Gang (Ductus mesonephridicus) gebildet.
Einem doppelwandigen Kelch ähnlich wächst das Medialende der Urnierenleiter auf die aus der Aorta stammenden Kapillarenschleifen und verwandelt sich in Glomerulus. Die Kapillarenschleifen werden durch die Haut des Urnierenleiters kelchförmig herum gewachsen und bilden die Bowman-Kapsel. Obwohl der Glomerulus von dem Mesonephros differenzierter als der Glomerulus von dem Pronephros ist, bei der Ende der zweiten Monat die Mesonephros lässt auch nach in Entwicklung, sogar vor der Erscheinung und Funktionierung der endgültige Nieren (Metanephros) regrediert sich zu einem rudimentären Organ. Der Wolff-Gang ist durch den Regressionsprozess nicht betroffen und wächst in caudale Richtung bis es in den Cloaca mündet und später nimmt an Bildung von mehreren endgültigen Teilen des Urogenitalen Systems teil.
I./1.2.4.: Das Metanephros (Nachniere oder dauernde Niere)
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Das dritte Nierenentwicklungsstadium ist die Erscheinung des Metanephros oder der dauernden Niere, die sich in der fünften Embryonalwoche zu entwickeln anfängt, einerseits aus dem zwischen dem dritten und fünften lumbalen Somit ausmachenden Gebiet des intermediären Mesoderms (metanephrogenes Mesoderm), andererseits aus dem Wolff-Gang entwickelter Ureterknospe. Das Metanephros-Gewebe entwickelt sich aus zwei, voneinander alleinstehenden Anlagen, die sich miteinander sekundär in Kontakt treten. Ureter, Nierenbecken, Nierenkelche bzw. Sammelkanäle entwickeln sich aus der Ureterknospe, Nephronen hingegen aus auf caudalem Abschnitt des intermediären Mesoderms entwickelndem metanephrogenem Gewebe.Die Ureterknospe entspringt beim Eintritt des Wolff-Gangs in die Cloaca caudo-dorsal und wächst sich allmählich ins nahe metanephrogene Mesoderm
Das metanephrogene Gewebe produziert HGF- (Wachstumsfaktor hepatozyten Ursprungs) und GDNF (Neutrophisches-Faktor glialen Ursprungs)-Proteine, die auf Epithelzellen der Ureterknospe befindlichen Met- bzw. Ret-Tirosinkinasen wirken und dadurch fördern die Streckung und dichotomische Teilung der Ureterknospe. Mutation der Wachstumsfaktoren oder Rezeptoren führt zur Fehlbildung des Metanephros. Die Ureterknospe dringt in das metanephrogene Gewebe ein, ihr craniales Ende entwickelt bootartig ausgedehnt das primitive Nierenbecken (Pelvis renalis). Die Ureterknospe ist röhrenförmig, ihr unausgedehnter caudaler Abschnitt entspricht dem dauernden Ureter.
Nach Eindringen der Ureterknospe umgibt das metanephrogene Gewebe die verzweigte Ureteranlage kappenartig[9D], in der die Ureterknospe sich rasch wächst und weiter verzweigend bildet die Klein- und Großkelche (Primär- und Sekundäräste) bzw. Sammlungskanalanlage (Tertiäräste) der Niere. Distales Ende aller Sammlungskanalprimordien bestimmt die Entwicklung des sich selbst umgebenen metanephrogenen Gewebe. Als Folge der Induktivwirkung des Kanals differenzieren sich oberhautgefütterte Nierenblasen (Vesiculae renales) aus den Mesodermzellen. Zahlreiche molekularbiologische Details dieses komplexen Entwicklungsmechanismus sind bekannt.
Auf Induktionswirkung der Ureterknospe kann sich das metanephrogene Mesenchym nur dann reagieren, falls es das WT-1-Gen (Wilms tumor suppressor 1; Zinkfinger-Transkriptionsfaktor) expressiert. Jedoch dieses WT-1-Gen reguliert und hält die Produktion der GDNF- und HGF-Wachstumsfaktore im metanephrogenen Gewebe aufrecht. Der Entstehung der nephronbildenden Kompetition des metanephrogenen Mesenchyms folgt die Veränderung der Expression der Extrazellurären Matrixproteine und Zelladhäsionsmoleküle; das für Oberhautzellen typische Laminin und das Kollagen Typ IV erscheinen, sowie auf der Oberfläche der Mesenchymzellen drücken sich zur Zellenkondensation und Transformation zu Epithelzellen notwendige Syndecan- Adhäsionsmoleküle Typ E-cadherin aus.
Aus Nierenblasen entwickeln sich in S-Form gedehnte Röhrchen. Ein Ende der Tubuli wächst kappenartig auf die aus Kapillaren bildende Blutgefäßschleife drauf, dadurch differenzieren sich die Tubuli zu Nephronen. Am Proximalende der Nephrone bilden Epithelzellen der Tubuluskappe die Bowman-Kapsel, während ihr Distalende den Ausführungskanal bildet. Aus ständig wachsenden Abschnitten der Ausführungskanälen entwickeln sich die proximalen Tubuli, Henle-Schleifen und distalen Tubuli. Anfänglich besteht zwischen Scheide- und Ausführungskanälen keine Verbindung, doch später reißt sich die diese scheidende Zellschicht durch und von da an kann die Harnableitung funktionieren.
Die Metanephrosanlage beginnt sich in der Beckengrube (Fossa iliaca) während der Aorta-Bifurkation zu entwickeln. Später, infolge des Wachstums der Körperteile steigen Nieren vom Becken in die Bauchhöhle auf (Ascensus renis). Während des Aufstiegs in die Bauchhöhle verändert sich auch die Blutversorgung der Nieren (s. voriges Kapitel). Zuerst werden sie aus Beckenästen der Aorta mit Blut versorgt, dann am Wanderungsende entspringen neue Blutgefäße aus höheren Abschnitten der Aorta und gleichzeitig entwickeln sich die niedriger positionierte Blutgefäße zurück.
I./1.2.5.: Nierenfehlbildungen
I./1.2.5.1.: Positionelle Anomalien
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Nierenbetroffene Anomalien führen zu zahlreichen Malformationen. Eine von diesen ist, als die Niere sich nicht am normalen Platz (auf der Höhe des 12. thoracalen und 3. lumbalen Wirbels) befindet (Dystopia renis), sondern in anderer Region der Bauchhöhle, oft im kleinen Becken (Beckenniere). Diese Fehlbildung kommt oft mit gleichzeitiger Drehung der Nieren vor, in dem Fall das Nierentor blickt nach vorne und nicht nach der Mittellinie. Diese Fehlbildung entsteht, als das cranialgerichtete Wachstum der Ureterknospe und Aufstieg der Nieren nicht perfekt sind oder ausfallen. Ein anderes Beispiel für abnormale Wanderung der Nieren ist wenn beide Nieren nur auf der einen Seite liegen. In diesem Fall wandert die rechte oder linke Nierenanlage mit dem Ureter während des Aufstiegs in die andere Seite.
I./1.2.5.2.: Hufeisenniere, Kuchenniere
Ursache für die Entwicklung der Hufeisenniere (Ren arcuatus) oder Kuchenniere ist auch die Aufstiegsstörung der Nieren. Die Hufeisenniere befindet sich meistens caudal von der Normalhöhe, da die Blutgefäße die doppelseitigen Nierenanlagen zueinander nahe ziehen und deren Unterpol verschmilzt (bei Kuchenniere verschmelzen die Nierenanlagen in der Mittelline völlig) Zusammengewachsenes Stück der Hufeisenniere, falls sie auch Nierenparenchym enthält, heißt Isthmus.
Den Aufstieg des fusionierten Nierenpaars kann die Wurzel der aus der Aorta austretenden Arteria mesenterica inferior durch ihren Isthmus verhindern. Arterielle Blutversorgung der Hufeisenniere ist sehr abwechslungsreich und kann aus der Arteria mesenterica inferior über dem Isthmus oder von der Seite, aus der der Arteria iliaca communis erfolgen. Hufeisenniere ist eine häufige Nierenfehlbildung, die Häufigkeitsrate beträgt 1:600 Neugeborene; bei Jungen kommt zweimal so häufig vor.
I./1.2.5.3.: Polyzystenniere
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Die schwierigste Nierenfehlbildung ist die angeborene polizystische Nierenkrankheit, die Häufigkeitsrate beträgt 1:800 Neugeborene. Die Funktion der Polizystenniere hört allmählich auf, weil mehrere hunderttausend oberhautgefütterte, ständig wachsende Bläschen (Zysten) das Parenchym anstelle der Nephronen einnimmt und das intakte Parenchym unterdrücken. Polizystenniere erscheint meistens in autosomaler, dominanter Form und wird durch Mutation der Polizystin 1,-2 Proteine kodierende Gene (PKD-1 und PKD-2) verursacht. Die Polizystinproteine nehmen an den während der Nephronentwicklung ablaufenden Zellproliferations- und Differenzierungsprozessen teil. Infolge ihrer Mutation entwickeln sich Zysten anstelle der Nephronen .
I./1.2.5.4.: Zahlenmäßige Abweichungen
Es kann vorkommen, dass die vollentwickelte Niere kleiner (Hypoplasia renis) oder größer (Hyperplasia renis) als die normale ist, völlig oder nur eine Seite (Bilateralis oder Unilateralis agenesia renis) fehlt bzw. durch Spaltung der Ureterknospen Nieren in Überzahl sich aus dem metanephrogenen Mesoderm induktieren. Im Falle von Triplicitas renum (Drei Nieren) entwickeln sich zwei Nieren an der einen Seite. Mit dem Leben unvereinbare Fehlbildung ist das angeborene beidseitige Nierenfehlen (Aplasia oder Agenesia renis bilateralis), mit einer Häufigkeitsrate von 1:3000 Neugeborene . Da beide Nieren fehlen, gibt es keine embryonale Harnausscheidung und Olygohydramnion tritt auf. Die Agenesia renis unilateralis (einseitiges Nierenfehlen) ist gewöhnlich symptomenfrei, kommt nicht selten bei ca. 0,1% der Erwachsenenbevölkerung vor.
Die Entwicklung der Fehlbildungen mit Nierenfehlen ist mit dem Ausfall der Wechselwirkung zwischen der Ureterknospe und dem metanephrogenen Gewebe zu erklären. Der Ureterknospe fehlt meistens, aber in manchen Fällen entwickelt es sich vollständig aber trotzdem fällt die Induktion von Nierenentwicklung aus. Im Normalfall wirkt der aus metanephrogenem Mesoderm stammende GDNF-Wachstumsfaktor auf die an den Ureterknospenzellen entwickelnde RET-Rezeptor, die das Wachstum und Verzweigung der Ureterknospe auslöst und erhält. Damit ist zu erklären, dass die Agenesia renis in 50 % von GDNF- oder RET-Genmutation ausgelöst wird. Agenesia renis ist oft mit Fehlbildungen des Ureters, der Geschlechtsorgane und anderen Organe verbunden. Ektopisches Entwicklung des GDNF-Wachstumsfaktors kann zur Entwicklung von überzähligen Nierenanlagen führen.
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